Stundenhotel für alle

Stundenhotel für alle

Die Seitensprungzimmer von heute

Selbst renommierte Häuser verdienen immer mehr Geld damit, ihre Zimmer nicht nur nachts, sondern zusätzlich tagsüber zu vermieten – vermutlich zum großen Teil für Sex. In der Branche will man das lieber verheimlichen

Seitensprungzimmer Bern West

Die Vorbereitung auf das Treffen mit Alexander hat keine fünf Minuten gedauert. Erst eine E-Mail-Adresse unter falschem Namen eingerichtet: anna.10888@web.de. Dann auf die Internetseite von Dayuse. Die freien Hotels für diesen Mittag anzeigen lassen, möglichst zentral. Irgendein Zimmer in der Nähe vom Hauptbahnhof oder an einer Autobahnabfahrt, Ramada, Mercure, Park Inn. So macht er das immer mit seinen Verabredungen, sagt Alexander. Normalerweise übernimmt er die Reservierung. Aber normalerweise trifft er ja auch keine Reporterin – er hat in ein Interview im Hotelzimmer eingewilligt. Die Frauen, mit denen er sich sonst während seiner Mittagspause verabredet, sind Arbeitskolleginnen oder Bekannte. Einmal hatte er auch eine Affäre mit der Mutter eines Jungen, mit dem sein Sohn in den Kindergarten ging. Stundenhotel für alle, eben.

Heute aber wird Alexander, Mitte 40 und Manager in der Telekommunikationsbranche, mich treffen: im „Hotel Mercure“ in Köln, Nähe Ebertplatz. Rund 40 Minuten Fahrtzeit hat sein Navi von seinem Düsseldorfer Büro aus errechnet. Für die Hotelreservierung heiße ich Anna Müller. Es geht darum, ein neues, diskretes Geschäftsmodell zu recherchieren, das offenbar stark wächst.

Alexander nutzt es häufig. Bei renommierten Hotelketten mietet er sich über spezielle Reservierungsportale im Internet regelmäßig sogenannte Tagesbetten – zu Raten, die deutlich günstiger sind als Übernachtungen im selben Hotel. Er trifft Frauen, um mit ihnen Sex zu haben. Dann checkt er aus, zahlt bar, geht wieder ins Büro. Das Hotelpersonal reinigt das Zimmer, bezieht die Betten neu, vermietet den Raum abends weiter. Fast alle großen Ketten machen mit: Über die Internetseiten Between9and5.com und Dayuse.de kann man Zimmer von Radisson, Sheraton, Accor, Marriott und vielen anderen buchen.

Bei den Hotelketten redet man über diesen Teil ihres Geschäfts sehr ungern. Hotels leben von Diskretion. Würden sie Zahlen nennen, wie häufig solche Tagesvermietungen sind, auch „day use“-Raten genannt, könnte das andere Gäste abschrecken. Wer stellt sich schon gerne vor, dass im gebuchten Hotelbett noch ein paar Stunden vorher vermutlich jemand seine Frau oder seinen Mann betrogen hat?

Es gibt aber Schätzungen, denen zufolge das Geschäft mit den Stundenzimmern deutlich wächst. Die französische Firma Dayuse, seit zwei Jahren in Deutschland am Markt, teilt auf Anfrage mit: Im vergangenen Jahr habe man knapp 10.000 Zimmer tagsüber vermietet. Damit stehe man aber erst ganz am Anfang, Deutschland sei neben den USA der vielversprechendste Markt. Im Januar hat das Portal von zwei Investoren eine Finanzspritze von 15 Millionen Euro bekommen, um auf die steigende Nachfrage zu reagieren. Und in den vergangenen Wochen haben gleich mehrere große Hotelketten Kooperationsverträge unterschrieben. Der belgische Konkurrent Between9and5 spricht ebenfalls von starkem Wachstum.

Für die Hotels werden Tageszimmer als Einnahmequelle immer wichtiger, sagt Dayuse-Deutschlandmanager Adrien Gateau. „Es gibt Konkurrenz von Anbietern wie Airbnb beim Übernachtungsgeschäft. Unsere Partnerhotels schaffen mit den Tagesvermietungen eine Umsatzsteigerung von etwa zehn Prozent.“

Der Unternehmensberater Michael Lidl, der mit seiner Firma Treugast Hotelketten berät, sagt: Es habe zwar schon immer Tagesvermietungen gegeben – doch durch die neuen Internetportale habe das Geschäft eine ganz neue Dynamik bekommen. „Früher ging man als Hotelgast mit seiner Begleitung an die Rezeption und fragte nach den Tagesraten, das war eine Art Graumarkt. Heute geht das viel einfacher, weil man sie sich online anzeigen lassen und buchen kann.“ Der Hotelverband Deutschland (IHA) bestätigt das: „Die Onlineportale sorgen dafür, dass die Angebote gefunden und gebucht werden können“, sagt Fachreferent Tobias Warnecke.

Der Unterschied zu gewöhnlichen Buchungsportalen für Hotelbetten – etwa HRS oder hotel.de ist: Der Gast hinterlässt keine Identitätsspuren. Das hatte Alexander vorher am Telefon erklärt. „Man braucht keine Kreditkarte. Eine anonyme Mailadresse plus Prepaid-Handy für die Buchungsbestätigung reichen. Das Zimmer zahlt man später bar.“ Wenn man ihn darüber sprechen hört, klingt schelmische Freude in seiner Stimme mit – toll, was im Internet alles möglich ist.

Das Treffen mit ihm ist für einen Mittag Anfang Juni verabredet. Das „Mercure Belfortstraße“ in der Kölner Innenstadt ist solide Mittelklasse: Von der Lobby geht ein Hotelrestaurant mit roten Ledersitzbänken ab, in dem man bei einem Kaffee auf sein Date warten könnte. Die Frau an der Rezeption ist freundlich-neutral, keine Spur von Anzüglichkeit. „Frau Müller, Sie haben eine Tagesreservierung, richtig? Das macht dann 61,95 Euro, also 59 für das Zimmer plus 2,95 Euro Kurtaxe.“ Ich gehe hoch ins Zimmer und schicke die Nummer per SMS an Alexander. 312. Knapp zehn Minuten später klopft es.

Alexander, verheiratet, ein Sohn, erscheint im dunkelgrauen Anzug. Weißes Hemd, keine Krawatte. Er hat dunkle, leicht angegraute Haare, Seitenscheitel, dunkle Augen, ein Hauch von Drei-Tage-Bart. Er schüttelt mir die Hand, sachlich, als wäre es ein Geschäftstermin wie jeder andere. Er sagt, er habe noch im Stau gestanden auf der Fahrt von Düsseldorf, und das Wetter sei schön heute.

Er setzt sich auf den Sessel neben dem Bett, ich mich an den Schreibtisch. Das Doppelbett steht zwischen uns wie der sprichwörtliche absurde Elefant im Raum, über den niemand sprechen möchte. Bevor das Gespräch beginnt, fragt er ein paar Mal, wie viele Details über ihn im Text stehen würden und ob man ihn wirklich nicht werde erkennen können. Fotos, auch verfremdete Bilder, will er auf keinen Fall zulassen. Ein bisschen stolz auf sein Sexleben scheint er schon zu sein, aber unvorsichtig ist er nicht.

Nach einem Kaffee fängt Alexander zu erzählen an. Fast zwei Jahre sei es her, dass er das erste Mal ein Zimmer für ein paar Stunden in der eigenen Stadt gebucht habe. „Ich hatte eine Affäre mit einer Kollegin, ziemlich kurz und heftig.“ Andere Frauen habe es schon vorher gegeben, aber meistens seien es One-Night-Stands auf Dienstreisen gewesen. Irgendwann gab es diese Frau in Düsseldorf, die ebenfalls einen festen Partner hatte – also konnten sie sich bei keinem der beiden zu Hause treffen. Er habe gegoogelt, nach Stundenhotels. „Aber das klingt nach horizontalem Gewerbe und so schmuddelig“, sagt er. Recht schnell sei er dann auf die Seite Dayuse.de gestoßen – und habe sich „bestimmt ein Dutzend Mal“ mit seiner Kollegin in Hotels verabredet. Nachdem die Affäre zu Ende gegangen war, gab es andere Frauen.

Fragt man die Betreiber der Hotels, die ihre Zimmer über die Plattformen vermieten, stößt man auf Schweigen und Druckserei. Die Pressestelle von Sheraton etwa reagiert auf die Anfrage überhaupt nicht. Bei Marriott, das seit Ende März seine Zimmer europaweit von Dayuse vermieten lässt, sagt Europa-Manager René Mooren: Von Hotels werde Diskretion erwartet. „Tagsüber gibt es viele verschiedene Nutzungsmöglichkeiten.“ Eine sei, dass man in einem Zimmer in Ruhe einen „Conference Call“ machen wolle. Es ist ein Argument, das auch andere Hotelketten benutzen: Die Tageszimmer, sagen sie, würden vorrangig von Geschäftsreisenden genutzt, die sich vor einem Termin noch einmal hinlegen wollten.

Branchenkenner Michael Lidl hält das für vorgeschoben. „Es ist ein offenes Geheimnis der Branche, dass Tageszimmer eine willkommene Alternative für Schäferstündchen sind“, sagt er. „Der Verzicht der Internetportale auf Kreditkartendaten mag dabei nicht nur der Bedienerfreundlichkeit dienen, sondern unterstützt durchaus auch das Gefühl der Anonymität.“

Das bestätigt auch ein Berliner Hotelier: Sebastian Düpré, Manager der Amano Group, zu der eine Handvoll Designhotels gehören. Auch sein Unternehmen hat vor ein paar Wochen begonnen, Zimmer tagsüber zu vermieten. „Wir haben lange überlegt, ob wir das wirklich machen wollen oder ob es vielleicht die falsche Klientel anzieht.“ Damit spielt er auf Escort-Damen an, die mit ihren Kunden die Zimmer nutzen könnten – wie in einem Stundenhotel. Wie viele der Kunden, die seither über die Dayuse-Portale gebucht hätten, sie tatsächlich für heimlichen Sex nutzten, lasse sich nicht nachvollziehen, sagt er. „Genauso wenig, wie wir nachts wissen, wer die Zimmer zu welchem Zweck nutzt.“

Das Phänomen der Tageshotels beschäftigt auch Beziehungsforscher wie die amerikanische Paartherapeutin Esther Perel, die gut besuchte Vorträge hält. Sie erklärt es so: „Frauen sind heute finanziell unabhängiger, und das führt unter anderem eben auch dazu, dass das Risiko eines Seitensprungs sinkt. Selbst wenn dieser das Aus ihrer Beziehung bedeutet, stehen sie nicht vor dem wirtschaftlichen Ruin.“ Die Betreiber von Seitensprungportalen im Internet haben noch eine andere Vermutung: „Vor allem besser gebildete und erfolgreiche Frauen, die sogenannte ‚Sex and the City‘-Generation, empfinden ,casual sex‘ als alltagstauglich und als perfekte Ergänzung zu einem selbstbewussten und urbanen Lebensstil.“ Zu diesem Ergebnis jedenfalls kommt das Portal C-Date, nachdem es mehr als 8000 Nutzer befragt hat.

Alexander, der Mann aus Düsseldorf, sagt, er habe noch nie eine Frau auf einem solchen Portal kennengelernt. Er halte davon nichts, sagt er. „Solche Affären entstehen doch, zumindest bei mir, eher spontan. Und nicht, weil man sich gezielt jemanden für einen Seitensprung sucht.“ Wie gut, meint er, dass sich auch die Hotels so spontan buchen lassen.